Montag, 23:45 Uhr
Seit etwa zwei Stunden bis ich jetzt wieder zu Hause in Wolgast, nachdem auf der Rückreise (Fernbus von Bunratty nach Dublin, Flug von Dublin nach Hamburg, Autofahrt von Hamburg nach Wolgast) alles geklappt hat. Zwischendurch hatte ich aufgrund des Schneefalls in M-V, der mir am frühen Morgen gleich berichtet wurde, so meine Bedenken. Tino und Swenja bleiben noch einen Tag länger in Irland, um sich die Cliffs of Moher anzuschauen, und fliegen dann morgen von Shannon nach Hause.
Die Traurigkeit darüber, dass dieses Wochenende so schnell vorbei ging, begann bei mir bereits im Bus... Die vielen vielen Eindrücke muss ich in den nächsten Tagen noch verarbeiten, und auch an Schlaf ist einiges nachzuholen, da alle Nächte kurz und die Schachpartien lang waren. Am Flughafen in Dublin habe ich den zutreffenden Spruch "It's not a Goodbye, it's a See you later" gelesen. Wenn nichts dazwischen kommt, wird es für mich auch im nächsten Jahr ein Wiedersehen geben mit vielen Menschen, von denen ich einige mittlerweile als Freunde ansehe.
Mit meinem Abschneiden bin ich zufrieden. Die Zahl meiner Gewinnpartien konnte ich von 2016 (1) über 2017 (2) auf diesmal drei steigern, so dass beim Anhalten dieses Trends 2021 der Turniersieg mit 6,0/6 anstehen dürfte. Meine Endplatzierung (32., immerhin der Beste in der Major-Gruppe unter den Spielern mit 3,0/6) liegt deutlich über meiner Setzlistenposition (75.), und ist ebenso wie die Zahl der gewonnen Partien und meine Turnierleistung die bisher beste in Bunratty. Wenn ich die Turnierauswertung richtig verstehe, liege ich fast 1,5 Punkte über meiner Gewinnerwartung. Und es war ein zugleich schönes wie stressiges Gefühl, bis in die fünfte Runde hinein mit der Hoffnung zu spielen, dass der ganz große Wurf gelingen könnte. Die Masters-Gruppe gewann zum zweiten Mal nach 1999 (!) Sergey Tiviakov, der nach sechs Runden punktgleich (5,0/6) mit Gawain Jones lag und das Blitz-Stechen um den Turniersieg für sich entscheiden konnte.
Ich hoffe, dass der eine oder andere durch diesen Bericht auf den Geschmack gekommen ist, und möchte alle mitlesenden Schachfreunde einladen, im nächsten Jahr dabei zu sein. Ich werde morgen noch versuchen, ein paar Fotos hochzuladen.
Sonntag, 25. Februar 2018
17:45 Uhr
Es bleibt leider auch nach der sechsten und letzten Runde bei 3,0 Punkten, da ich im Angriff überzogen habe. Alles in allem bin ich aber mit dem Ergebnis nicht unzufrieden, da ich am Ende doch ein Stück über meiner Setzlistenposition liegen sollte. Meine Turnierleistung sollte bei ca. 1440 liegen, so dass auch mein ICU Rating von derzeit 1264 einen kleinen Sprung nach oben macht. Tino hat in der letzten Runde mit einem Remis dafür gesorgt, dass er nicht ohne Punkte nach Hause fährt. Swenja hat ebenfalls Remis gespielt.
Heute abend gibt es noch das Blitzturnier, erfahrungsgemäß ein sehr unterhaltsamer Abschluss des Wochenendes.
13:15 Uhr
In der fünften Runde hatte ich jetzt beim dritten Anlauf in Bunratty zum ersten Mal einen Gegner, gegen den ich schon mal gespielt habe. David O'Kelly hat mir bereits 2016 einen Punkt abgenommen, und es auch diesmal wieder getan. Und ich kann nicht mal die Nachwirkungen der kurzen Nacht als Grund vorschieben. Auch Swenja und Tino haben ihre Partien leider verloren. Die letzte Runde beginnt dann auch schon in rund einer halben Stunde.
04.00 Uhr
Nachtrag zur vierten Runde: Tino hat seine Mehrfigur zwar geopfert, laut Swenja aber die sich daraus ergebenden Verwicklungen nicht komplett durchgerechnet. Am Ende stand dann leider wieder nichts für ihn zu Buche. Ich spiele morgen vormittag in der fünften Runde gegen David O'Kelly, gegen den ich 2016 schon verloren habe. Also mein erster irischer Gegner, gegen den ich mehr als eine Partie spiele.
Ein Chess960-Duell über sechs Blitzpartien gegen Schiedsrichter Brian Scully um ein Bier endete so gegen 02.00 Uhr mit 3:3, was mir vor allem zeigt, dass meine Chess960-Fähigkeiten im Vergleich zum letzten Jahr besser geworden sind. Etwa gegen 03.00 ergab sich dann noch die Gelegenheit zu einer Blitzpartie gegen GM Simon Williams. Immerhin konnte ich einen Turm schlagen und ihn einmal Schach setzen...
Sonnabend, 24. Februar 2018
21:30 Uhr
Am Ende des Marathon-Tages hat die Schachblindheit leider zugeschlagen und das Punktesammeln erstmal aufgehört. Ich habe erst eine Fesselung übersehen, die mich eine Qualität kostete, und dann später auch noch den Springer durch eine Gabel eingebüßt. Trotzdem bin ich nur geringfügig unzufrieden, da auch 3,0/4 Punkte mehr sind, als ich erwartet hatte. Weiter geht es dann also morgen mit der fünften und sechsten Runde.
Nachtrag zur letzten Runde: Swenja und Tino haben ihre dritte Partie beide verloren. In der vierten Runde hat Swenja dann wieder eine kurze Siegpartie hingelegt, Tino spielt noch und hatte eben laut Swenja eine Figur mehr.
18:45 Uhr
So langsam gehen mir die Worte aus: 3,0/3. Gegen die Nr. 4 der Setzliste. Ich habe jetzt nach der Hälfte des Turniers schon soviele Punkte wie im letzten Jahr nach der letzten Runde. Alles was jetzt noch kommt, ist Zugabe. Die Partie war mit 68 Zügen meine bisher längste hier. Ich habe mit Schwarz auf 1. e4, für alle die mein beschränktes Eröffnungsrepertoire kennen natürlich keine Überraschung, Skandinavisch geantwortet. Mein Gegner kam dann aufgrund ungenauer Behandlung der Eröffnung relativ schnell erst in Entwicklungsschwierigkeiten, verlor irgendwann erst einen Bauern und dann eine Qualität, und entwich dann gerade so einem Mattnetz. Am Ende habe ich die Qualität im Bauernendspiel zurückgegeben, da die Rechnung im darauffolgenden Bauernrennen (mehrfach durchgezählt) klar zu meinen Gunsten ausging.
Swenja und Tino haben bis eben noch gespielt. Mal schauen, wie es bei beiden mitterweile aussieht.
12:45 Uhr
Der Traumstart ist geglückt! Dass ich nach zwei Runden tatsächlich mit 2,0 Punkten dastehen würde, hätte ich angesichts meiner Setzlistenposition nie und nimmer erwartet. Mit Weiß spielend kam ein Londoner System aufs Brett (ich kann ja nix anderes). Zwischendurch hatte in dann sogar die Hoffnung, dass ein Lehrbuch-Beispiel des Läuferopfers auf h7 zustande kommen könnte. Mit 12. h4 (push Harry the h-pawn up the board!) konnte ich dann offensichtlich soviel Stress erzeugen, dass mein Gegner erst seine Pläne am Damenflügel fahren liess und ein paar Züge später bei wachsendem Druck entscheidende Fehler machte. Und auch wenn ich den Partieanfang nicht ganz optimal gespielt habe, ist es mir immerhin gelungen, zum Ende die wichtigen Züge zu sehen. Nach 21 Zügen war es vorbei.
Swenja brauchte mit 17 Züge noch weniger bis zu ihrem ersten vollen Punkt. Tino hat sich in einem Endspiel mit drei gegen vier Bauern zäh verteidigt, konnte aber letztendlich nicht verhindern, dass sein Gegner den Gewinnweg fand.
09.00 Uhr
Trotz der vergleichsweise kurzen Nacht (vorm Schlafengehen stand noch eine kurze Computeranalyse meiner Partie) fühle ich mich heute morgen erstaunlich fit. Vielleicht liegt es ja am irischen Frühstück...? Aber es bleibt natürlich abzuwarten, welchen Verlauf der heutige Tag nimmt und ob dieses Gefühl für drei Partien reicht. In der zweiten Runde, die um 09.30 Uhr Ortszeit beginnt, habe ich Weiß gegen einen älteren irischen Schachfreund. Wenn ich nicht verliere, wäre das immerhin nach zwei Runden schon mal mein bester Start im dritten Anlauf hier in Bunratty.
Im Masters sind neben Nigel Short mit Alexander Baburin, Simon Williams und Jon Speelman noch drei weitere Großmeister nicht über ein Remis gegen ihren Erstrunden-Außenseiter hinausgekommen, ein recht überraschungsreicher Auftakt also.
Ab jetzt noch eine halbe Stunde bis Buffalo...
01.15 Uhr
Da der späte Abend schon in den frühen Morgen übergangen ist (die Zeit verläuft so schnell in der Hotelbar...), nur eine kurze Zusammenfassung der erste Runde. Ich habe gewonnen, auch relativ schnell (in 20 Zügen). Mein Gegner hat mit Weiß spielend mit 1. d4 eröffnet und dann gegen mein 1. ... g6 mit 2. h4 d6 und 3. h5 etwas ungewöhnlich gespielt. Irgendwann hatte ich dann aber sowohl nach der Stellung auf dem Brett als auch nach seinem Gesichtsausdruck den Eindruck, dass sich seine Ideen alle nicht materialisiert haben, und dass ich ihn zunehmend mit kleinen Verwicklungen nerven konnte. Einem kleinen Fehlgriff folgte dann ein richtig großer Fehlgriff, der ihn nach einem Springer-Abzugsschach die Dame gekostet hätte. Schach ist eben doch zu 95% Taktik.
Tino und Swenja haben leider beide ihre erste Partie verloren. Für den Titelverteidiger in der Masters-Gruppe, Nigel Short, gab es mit einem Remis in der Auftaktrunde eine unangenehme Überraschung.
Freitag, 23. Februar 2018
18.15 Uhr
Es sind mittlerweile weniger als zwei Stunden bis zur ersten Runde, die um 20.00 Uhr Ortszeit beginnt (21.00 Uhr in Deutschland). Das Hotel füllt sich nicht nur langsam, sondern mittlerweile ziemlich rapide. Auch in der Hotelbar macht sich der näher kommende Turnierbeginn bemerkbar. Bei mir ebenso, mein ATL (Allgemeines Turnier-Lampenfieber) steigt mit jeder Minute. Mit Setzlistenplatz 75 von 88 kann ich ja eigentlich nur nach vorn bzw. nach oben schauen, so dass ich relativ befreit spielen können sollte. Tja, wenn es mal so einfach wäre...
16.00 Uhr
Was immer die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft geraucht hat, könnte ich die nächsten drei Tage auch gut gebrauchen.
Ich habe mir derweil am Nachmittag jede Menge frische Luft gegönnt. Bei einem Abstecher zu einem Spar-Markt (wirklich!) am Ortsrand zur Besorgung meiner üblichen Turnierverpflegung (stilles Wasser und Bananen, die hier übrigens nicht nach Gewicht, sondern nach Stück bezahlt werden) ist mir aufgefallen, dass im Ort relativ viel gebaut wird. Bunratty bekommt eine zweite Bushaltestelle! Nach einem entspannten Mittagessen in der Creamery Bar, eines von drei Restaurants im Ort, ging es zum Folk Park, eine Art Freiluftmuseum mit originalen Gebäuden aus dem irischen Leben des 19. Jahrhunderts. Mit auf dem Gelände des Folk Parks steht das Bunratty Castle, ein imposantes Schloss aus dem 15. Jahrhundert. Da auch am, im und um den Folk Park einiges an Baugeschehen zu sehen ist, habe ich mir den Eintritt mal wieder gegönnt. Allein der Blick vom Schloss auf den Ort ist lohnenswert.
Die ersten Fotos habe ich auch erfolgreich hochladen können.
11:50 Uhr
(Zeitangaben alle in Ortszeit, also für Deutschland eine Stunde hinzurechnen)
Sven hat mich darauf hingewiesen, dass der im vorherigen Beitrag verlinkte Tweet von Gawain Jones ohne Kontext schwer zu verstehen ist. Deshalb eine Erklärung dazu. Gawain Jones hat kürzlich beim Tata Steel Masters gegen Magnus Carlsen eine Partie verloren, in der er aufgrund eines schlichten Figureneinstellers des Weltmeisters (ja, das gibts) einen Läufer mehr hatte. Anish Giri kommentierte dies mit dem Worten: "Magnus Carlsen ist nun offiziell eine Figur stärker als der Rest der Menschheit". Da ich wusste, dass Gawain Jones in Bunratty spielen würde, kam mir die Idee für ein Geschenk - eine Tasse mit dem Spruch "Ich hatte gegen Magnus Carlsen eine Figur mehr, und alles was ich bekam, war diese Tasse" (siehe Bild).
Hauptschiedsrichter Gerry Graham machte aus der Übergabe während der Party ein kleines Event, bei dem er mich kurz vorstellte ("He first came to Bunratty two years ago to play just another chess tournament. Boy, was he wrong" ), um mir sodann das Mikro zu reichen. Trotz Aufregung glaube ich, dass ich das ganz gut hinbekommen habe. Und die Reaktion von Gawain Jones zaubert mir beim Schreiben dieser Zeilen gerade wieder ein Lächeln ins Gesicht, die Tasse war mehr als jeden Euro wert.
Irgendwann nach Mitternacht hat die anwesende Band dann auch noch die irische Volksweise "The Fields of Athenry" über die Hungersnot von 1846 bis 1849 angestimmt, im Ausland vor allem als inoffizielle Hymne irischer Sportmannschaften bekannt. Da mich aufgrund der allgemeinen Herzlichkeit zu dem Zeitpunkt größtenteils die Schüchternheit verlassen hatte, die ich unter fremden Menschen oft an den Tag lege, habe ich mich sogar getraut mitzusingen. Ich fühlte mich schlicht wie unter guten Freunden angekommen.
Wie es der Zufall wollte, hat mich Gastgeber Paul dann am frühen Morgen für die Fahrt von Limerick nach Bunratty ins gleiche Taxi gesetzt wie Gawain Jones und seine Frau Sue. Zwei wunderbare Menschen, denen ich fürs Turnier beide Daumen drücke.
Nachdem ich heute morgen überraschend gut aus dem Bett gekommen bin, steht jetzt erstmal eine Runde durch den Ort an.
04.00 Uhr
Etwas ungewöhnliche Tageszeit... Ich bin eben von Limerick per Taxi in Bunratty im Hotel eingetroffen. Die Party bei Turnierdirektor Paul Carey war eines dieser Ereignisse, die man so schnell nicht vergisst. Tolles Essen, das eine oder andere... Guinness. Außerdem Gespräche mit den Mitgliedern des Orga-Teams sowie mit Gawain Jones und Simon Williams. Und am Ende wohl noch ein Whiskey. Live-Musik, Nigel Short höchstselbst an der Gitarre. Mal sehen, wie schnell ich in den Schlaf komme, um dann um 09.30 Uhr zum Frühstick fertig zu sein.
Donnerstag, 22. Februar 2018
15.00 Uhr
Bunratty is calling... Es ist wieder Februar und erneut folge ich dem Ruf der grünen Insel, um ein Wochenende lang die einzigartige Mischung aus Schach, irischer Musik und Guinness zu genießen, die das kleine irische Dorf Bunratty zum nun schon 25. Mal zu bieten hat. Da ich es mittlerweile erfolgreich zum Flughafen Hamburg geschafft habe und am Gate sitzend auf meinen Flug warte, gehe ich auch davon aus, es bis Bunratty zu schaffen. Vor mir liegen noch der Flug nach Dublin und ca. drei Stunden Fahrt mit dem Fernbus an die irische Westküste.
Ähnlich wie zur LJEM hoffe ich, dass einige Berichte und Wasserstandsmeldungen vom Turnier und seinem Drumherum bei dem einen oder anderen auf Interesse stoßen. Insofern werde ich, wie es die Zeit so vor, zwischen und nach den Runden zulässt, hier über den Fortgang meiner Reise berichten - also wie beim Ticker von der LJEM einfach öfter hier reinschauen. Ob und wie es mit Fotos klappt, muss ich erstmal sehen.
Das silberne Jubiläum des Turniers verspricht schon vor dem Start einiges. Das Teilnehmerfeld ist laut Meldeliste das größte, das Bunratty jemals gesehen hat. In der Masters-Gruppe hat sich ein illustres Feld an Großmeistern versammelt, sowohl Legenden des Schachsports wie Nigel Short (der als Nr. 1 der Setzliste seinen dritten Sieg in Folge anstrebt) und Jon Speelman als auch jüngere bekannte Großmeister wie der zweifache britische Meister Gawain Jones, der wahrscheinlich stärkste reine Amateurspieler der Welt Luke McShane, sowie die vor allem durch ihre Chessbase- bzw. Internetaktivitäten bekannten Simon Williams und Sergey Tiviakov.
Mit Tino Wagner vom SV Gryps und seiner mittlerweile in Berlin spielenden Tochter Swenja sind auch zwei Bekannte aus der Heimat angemeldet, Tino wie ich selbst in der Major-Gruppe und Swenja eine Gruppe höher im Challengers.
Heute abend gibt es eine Art Pre-Party bei Turnierdirektor Paul Carey in Limerick, zu der er überraschend auch mich eingeladen hat. Ich hatte in den letzten beiden Jahren das große Glück, das Organisationsteam bestehend aus Paul, den internationalen Schiedsrichtern Gerry Graham und Ted Jennings sowie dem FIDE-Schiedsrichter Brian Scully kennenlernen zu dürfen.
Noch knapp 1,5 Stunden bis zum Abflug...