Hinweis: Vom Ende zum Anfang der Seite lesen!
Ein Bericht von Schiedsrichter Gerry Graham zum Turnier, mit Partien aus dem Masters, den Ergebnissen der einzelnen Gruppen sowie Fotos, ist hier auf der ICU-Website zu finden.
Montag, 18. November 2019
11.30 Uhr
Mittlerweile sitze ich in Dublin am Flughafen bei einem Kaffee und fange schon an, meine Erinnerungen an dieses Wochenende Revue passieren zu lassen. Der gestrige Abend nahm mit der Siegerehrung noch eine höchst unerwartete und sehr erfreuliche Wendung - mein Ergebnis reichte in meiner Gruppe, der James Mason Challenge, immerhin für einen Grading-Preis in Höhe von 60(!) Euro für den besten Spieler unter 1300. Meine Endplatzierung ist 26/47, bei einem Setzlistenplatz von 40/47 also ein ganz passables Ergebnis. Das anschließende Blitzturnier war mit der sehr humorvollen Moderation durch Maurice sowie Blitzpartien gegen die beiden französischen Großmeister Sebastien Maze und Eloi Relange, den Sieger der Masters-Gruppe, ein echtes Erlebnis. Es gab jedoch einen schwerwiegenden "Zwischenfall" - einer der französischen Teilnehmer fragte an der Bar nach einem Wasser(!), bei einem Blitzturnier mit Freibier eigentlich ein Grund für eine Disqualifikation.
Der Abend klang dann bis kurz nach 2.00 Uhr mit einer von Maurice als "Sing-Song" bezeichneten kleinen musikalischen Runde aus, mit Schiedsrichter Gerry Graham an der Gitarre begleitet von CM Gerard MacElligott auf der Tin Whistle. In lockerer Atmosphäre waren alle Anwesenden aufgefordert, Lieder vorzuschlagen oder selbst zu singen. Da Maurice mich vorab über diesen Teil des Abends informiert hatte, hatte ich mich noch zu Hause nach einigen Recherchen für das Lied "Kilkelly, Ireland" entschieden, da es wie kaum ein anderes Lied die Melancholie der irischen Volksseele musikalisch erfasst. Die fünf Strophen des Liedes basieren auf Briefen, die ein irischer Vater zwischen 1860 und 1890 an seinen Sohn schrieb, der aufgrund der wirtschaftlichen Not in Ireland nach Amerika ausgewandert war. Im Gegensatz zu Maurice kann ich zwar nicht wirklich singen, aber niemand hat sich die Ohren zugehalten oder ist mit gequältem Gesicht rausgelaufen. Um 3.00 Uhr war ich dann im Bett, um drei Stunden später aufzustehen und 7.20 Uhr mit den Fernbus Richtung Dublin zu starten.
Sowohl Gerry als auch Maurice fragten mich nach einem Vergleich zwischen den Turnieren in Bunratty und Kilkenny, und ich werde ihnen einen solchen per E-Mail schreiben. Für mich steht fest, dass beide Turniere ihren ganz eigenen Charme haben, und auf ihre eigene Weise ein wunderbares Erlebnis sind und auch immer wieder sein werden. Ob ich den Kilkenny Congress in Zukunft erneut mitspielen werde? Mit ziemlicher Sicherheit. Ob gleich im nächsten Jahr und so regelmäßig wie Bunratty, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Aber ich werde bestimmt nach Kilkenny zurückkehren, schon weil ich es nicht geschafft habe, alle Pubs auf dem Weg zwischen meinem Hotel und dem Spielhotel in Augenschein zu nehmen. Und weil schon viele Geschichten erzählt wurden, aber sicherlich nicht alle, und weil manche Geschichten auch zweimal erzählt werden können.
Sonntag, 17. November 2019
16.40 Uhr
Heute gab es in der fünften Runde noch eine Niederlage. Sowas passiert, wenn man über gute Züge zwar lange nachdenkt, sie dann aber trotzdem nicht spielt, weil man das Ganze nicht bis zum Ende durchschaut (Stichwort Qualitätsopfer). In der dann folgenden letzten Runde konnte ich das Turnier mit einem Sieg immerhin positiv beenden. Die Partie war in der Tat meine beste hier in Kilkenny, ohne Patzer und mit vielen richtigen bzw. guten Zügen. Durch einen Fehler meines Gegners konnte ich einen Läufer für zwei Bauern gewinnen. Und da es bei mir Gerry der g-Bauer und Harry der h-Bauer waren, die heldenhaft das Brett verlassen hatten, konnte ich über zwei offene Linien mit Dame, beiden Türmen sowie Springer und Läufer nach Herzenslust den Druck auf die gegnerische Königsstellung erhöhen. Die dann am Ende auch folgerichtig zusammenbrach.
Mit 3,0/6 (2,0/5 in gespielten Partien, 2-0-3) entspricht mein Ergebnis zwar nicht unbedingt meinen Hoffnungen, aber sicher ungefähr den Erwartungen. Ich hatte ausschließlich Gegner mit einem höheren Rating, so dass ich am Ende wahrscheinlich etwas besser dastehen werde als mein Setzlistenplatz. Auch mein Rating sollte keinen allzu großen Schaden nehmen. Nachher ist um 18.00 Uhr noch die Siegerehrung und um 20.30 Uhr ein Blitzturnier mit Freibier. Ich bin mal gespannt, wie das läuft, und werde berichten.
01.30 Uhr
In der vierten Runde hat es nun doch zum ersten Sieg gereicht. Mit Schwarz konnte ich endlich mal wieder einen Skandinavier spielen und im 19. Zug einen Läufer gegen zwei Bauern gewinnen. Die Verwertung dieses Vorteils war jedoch schwieriger als gedacht, so dass sowohl ich als auch mein Gegner in Zeitnot landeten. Am Ende wieder nur noch auf Inkrement spielend verschusselte ich dann prompt meinen Vorteil, dann stellte mein Gegner wieder eine Figur ein, und am Ende lief er ohne Not in ein einzügiges Matt. Alles in allem habe ich also wahrscheinlich mein Glück für mindestens drei Partien verbraucht.
Nach der Rückkehr in mein Hotel spielte dort in der Bar noch eine Live-Band. Erlebnisse, die im Greifswalder VCH-Hotel so wohl nicht passieren. Auf alle Fälle ein schöner Abschluss des Tages.
Sonnabend, 16. November 2019
16.25 Uhr
Auch meine zweite Partie habe ich verloren. Ich glaubte einen Angriff zu haben, der leider doch nichts richtiges war und in dem ich dann auch noch mit einem Fehlzug ermöglichte, dass mein Gegner zum Gegenangriff übergehen konnte. Den materiellen Vorteil, den er dann irgendwann hatte, hat er zwar nochmal komplett eingestellt, so dass wir in einem Turmendspiel mit einem Mehrbauern für ihn landeten. Da ich dieses aber praktisch nur auf Inkrement gespielt habe, fand ich auch diesmal wieder einen falschen Zug.
Die Strafe für diesen Fehlstart mit 0/2 war dann prompt ein Freilos für die dritte Runde, was aber immerhin einen Punkt bedeutet. Nachher um 19.30 Uhr geht es dann mit der heutigen Abendrunde weiter.
01.30 Uhr
Meine Erstrundenpartie habe ich leider verloren. Ich stand mit Schwarz lange Zeit ausgeglichen und am Ende war ein Bauernendspiel auf dem Brett, das laut Analyse Remis war. Wenn man aber wie ich kaum Ahnung von Bauernendspielen hat, findet man dann in Zeitnot leider auch mal den falschen Zug. Meine Gegnerin hat immerhin schon für das irische Frauenteam bei diversen Schacholympiaden gespielt, insofern ist die Niederlage kein Beinbruch. Am besten ist wohl, einfach ins Bett zu gehen und morgen mit neuer Hoffnung in die zweite Runde zu starten.
Freitag, 15. November 2019
17.05 Uhr
Im Schloss und in der Brauerei habe ich mich jeweils für die Teilnahme an einer geführten Tour entschieden, was sich in beiden Fällen auch gelohnt hat. Insbesondere die Tour in der ehemaligen Swithwick's-Brauerei war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der technischen Umsetzung der Präsentation ihr Geld mehr als wert. Swithwick's ist die Marke, deren Red Ale in Deutschland in einer Exportvariante unter dem Namen "Kilkenny" verkauft wird. Die Produktion wurde jedoch (aus Sicht der Stadt Kilkenny ein schmerzlicher Verlust) Ende 2013 nach Dublin verlagert.
Eine dritte geführte Tour ergab sich dann noch spontan, als ich am Nowlan Park vorbei kam, dem Stadion der Stadt, in dem hier die irischen Sportarten Hurling und Gaelic Football ausgetragen werden. Kilkenny ist neben Tipperary und Cork eine der drei Hurling-Hochburgen des Landes, und das Stadion hat mit 28.000 Plätzen - in einer Stadt mit 26.500 Einwohnern! - ungefähr die gleiche Größe wie das Ostseestadion in Rostock. Da ein Eingang offen stand, fragte ich einen anwesenden jungen Mann, ob ich mir mal für zwei Minuten das Stadion von innen anschauen könnte. Das ganze endete damit, dass er mir einen Rundgang durch diese heilige Stätte des Hurling einschließlich der Umkleideräume und der VIP-Tribüne gab.
Um 20.00 Uhr Ortszeit, also 21.00 Uhr deutscher Zeit, beginnt die erste Runde des Turniers. Wie bisher auch immer in Bunratty, stehe ich auch diesmal wieder in der unteren Hälfte der Setzliste meiner Gruppe. Ich werde mich jetzt ganz entspannt turnierfertig machen, noch etwas essen gehen und mich dann dem schachlichen Teil der Reise widmen.
10.00 Uhr
Die Nacht war wirklich so erholsam wie erhofft, und ein belebendes Frühstück trug das übrige dazu bei, dass ich mich rundum wohl fühle. Sogar das Wetter macht aus dem Fenster geschaut einen schönen Eindruck, so dass ich mir jetzt erstmal ein paar Sehenswürdigkeiten anschauen werde. Wie in jeder irischen Stadt, die was auf sich hält, gibt es mit Kilkenny Castle ein Schloss, darüber hinaus zwei sehenswerte Kirchen und die ehemalige Brauerei des Ortes. Alles sehr gut fußläufig erreichbar und touristisch aufbereitet als "Medieval Mile", also Mittelalter-Meile, verpackt.
0.50 Uhr (ab jetzt Ortszeit, also für Deutschland eine Stunde dazu rechnen)
Um kurz vor 21.00 Uhr Ortszeit kam ich per Fernbus in Kilkenny an. Der Bus hielt für einen kurzen verkehrsbedingten Moment direkt vor meinem Hotel, der eigentliche Halt befand sich dann aber etwa 700 Meter entfernt. Also erstmal zu Fuß zurück zum Hotel zum Einchecken. Dann war ich auch schon verabredet mit Turnierdirektor Maurice, der mich 150 Meter von meinem Hotel entfernt in einer Bar aufsammelte. Maurice zeigte mir zunächst die Spielräume im Club House Hotel. Was dann folgte, waren vier Bier und etwa drei höchst interessante Stunden mit Maurice und einem französischen Schachfreund, in denen ich viel zur Geschichte des Turniers lernte. Außerdem weiß ich jetzt, dass Boris Spasski Ehrenpräsident des Kilkenny Chess Club ist und wie er zu dieser Ehrung kam. Und der Sohn von Maurice spielt für Kilkenny in der irischen Nationalsportart Hurling, die hier in Kilkenny quasi religiösen Charakter hat (und sportlich durchaus reizvoll ist).
Abgesehen davon ist ein interessantes und angenehmes Erlebnis, nachts allein durch eine wildfremde Stadt zu laufen und sich dabei total wohl zu fühlen (von der Kälte mal abgesehen). Zurück in meinem Hotel folgt jetzt erstmal eine ausgedehnte Nacht Schlaf. Ich freue mich auf morgen.
Donnerstag, 14. November 2019
15.00 Uhr
Wie im letzten Jahr, mit dem Bunratty Chess Festival im Februar und der Munster League im November, zieht es mich nach auch in diesem Jahr nach der erneuten Teilname in Bunratty ein zweites Mal zum Schachspielen nach Irland. Diesmal ist es der Kilkenny Congress, in seiner 43. Auflage das älteste durchgehend bestehende Open-Turnier auf der grünen Insel. Ich hatte 2018 in Bunratty Gelegenheit, dessen Turnierdirektor Maurice Buckley kennenzulernen. Er beschrieb den Kilkenny Congress als den älteren Bruder des Bunratty Chess Festival, da das Organisationsteam von Bunratty sich am Anfang viel beim Kilkenny Congress abgeschaut hat und sich beide Turniere später in vielen Aspekten aufeinander abgestimmt haben. Mittlerweile haben sie sich hinsichtlich Teilnehmerzahl, Traditionen und Popularität zu den beiden Kronjuwelen des irischen Turnierkalenders entwickelt, und so hatte ich schon länger den Wunsch, mir auch den Kilkenny Congress mal anzuschauen. Dass die Stadt Kilkenny auch aus touristischer Sicht ein reizvolles Reiseziel ist, trug dann das übrige dazu bei, aus dem Wunsch einen Plan zu machen und diesen in die Realität umzusetzen.
Mittlerweile sitze ich im Flughafen in Hamburg und warte auf meinen Flug. Meine Reisen zu diesen Schachwochenenden in Irland haben mittlerweile eine gewisse Routine entwickelt, die das ganze entspannter macht. Der Parkplatz ist der gleiche wie die letzten Male, die Flugnummern und -zeiten kenne ich mittlerweile auswendig, und ich habe bereits vor Augen, wo nachher am Flughafen in Dublin der Bus nach Kilkenny abfährt. Es werden hoffentlich drei schöne Tage voll Schach mit alten und neuen Freunden sowie der Mischung aus Lachen, Musik, gutem Essen und einem Guinness in der Hand, welche die Iren mit dem Wort "craic" beschreiben.